Shifu, Sensei, oder nix?

"Guten Tag, mein Name ist Sifu Frank Schmitz." "Hallo, ich bin Sensei Hans Meier." Wem von uns, der sich mit den Kampfkünsten beschäftigt, ist diese Vorstellung nicht schon einmal begegnet. Sei es in Schriftform, oder im persönlichen Gespräch. Oft sieht man sie auch als Aufnäher auf der entsprechenden Uniform der entsprechenden Kampfsportart oder Kampfkunst.

Im heutigen Blogeintrag wollen wir die Begriffe Sifu, oder Shifu und Sensei aus dem chinesischen und japanischen Kulturkreis einmal näher beleuchten. Und versuchen zu verstehen, was mit ihnen gemeint ist.

Beginnen wollen wir im chinesischen Kulturkreis, also mit dem Begriff "S(h)ifu".  Sifu ist kein Rang innerhalb einer Schule, oder einer Kampfkunst. Es ist eher eine familiäre Bezeichnung. 

Zerlegt man das Wort S(h)ifu in seine zwei Bestandteile, so hat man auf der einen Seite "Shi", was soviel bedeutet, wie eine Kapazität, eine Koryphäe, die ein bestimmtes Wissen innehat. Es als "Lehrer" zu übersetzen wäre technisch korrekt, ginge aber wohl nicht tief genug. Halter eines bestimmten Wissens wäre hier wohl richtiger.

Der zweite Teil des Wortes S(h)ifu ist "Fu" und meint im wahrsten Sinne des Wortes "Vater".

Setzen wir beide Begriffe zusammen, so haben wir also jemanden, der Halter eines bestimmten Wissens, und für mich wie ein Vater ist. Jemand, zu dem ich ein enges Verhältnis aufgebaut habe, dass dem Verhältnis zu einem nahen Verwandten gleicht. Und so, wie ich nur einen Vater haben kann, kann ich auch nur einen Shifu haben. Alle anderen Personen, von denen ich etwas lerne, oder mit denen ich mich austausche, können nur Trainer oder Trainingspartner sein. Niemals jedoch mein Shifu. Wie schon gesagt, wir bewegen uns hier im chinesischen Kulturkreis, der deutlich anders funktioniert als unser westlicher.

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Bloße Teilnahme am regulären Gruppenunterricht, oder ein paar Tage Training während eines Aufenthaltes in China, macht den entsprechenden Trainer noch lange nicht zu meinem Shifu. Jemanden Shifu zu nennen setzt wie schon gesagt, eine sehr enge Bindung voraus, die sich teilweise über Jahre entwickelt haben muss. Zudem gehört hierzu auch heute noch fast immer, die traditionelle Zeremonie des "Baishi", des Teetrinkens. "Bai" meint hier "sich verbeugen", oder "verehren".  "Shi" meint, wie oben ja bereits beschrieben"Vater". Oft wird diese Zeremonie im öffentlichen Rahmen abgehalten, im Beisein von anderen Mitgliedern und Lehrern der örtlichen Kampfkunst-Community. 

Nachdem sich der Schüler vor dem Schrein der Vorfahren des Meisters verbeugt hat, vollzieht er eine tiefe Verbeugung, oder einen Kotau vor dem Meister und reicht ihm eine Tasse Tee, welch dieser annimmt und aus ihr trinkt. Mit dieser Geste ist man offiziell aufgenommen in die Familie des Meisters und als Schüler des inneren Kreises anerkannt. Diese Aufnahme sagt im übrigen nichts aus über den Kenntnisstand des Schülers, sondern bedeutet eher den Beginn des echten Lernens bei diesem Meister. Es ist eine Art Versprechen des Schülers alles zu erlernen was dieser Meister zu geben hat, sowie ein Versprechen des Meisters nichts von seinem Wissen zurückzuhalten. Jetzt ist wirklich der Augenblick gekommen meinen Lehrer tatsächlich "Shifu" zu nennen, denn ich wurde in seine Familie aufgenommen. Das Lernen beschränkt sich jetzt nicht mehr nur auf das offizielle Gruppentraining. Ab jetzt lernt der Schüler häufiger im Kreise der Familie, man geht gemeinsam essen, und es werden Themen besprochen, die im Gruppentraining gar nicht, oder erst sehr spät erwähnt werden.

 

Kommen wir nun zum japanischen Begriff "Sensei". Auch das Wort Sensei besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil "Sen" bedeutet "Erster", oder "Vorheriger". Der zweite Teil "Sei" bedeutet "Leben". Frei übersetzt bedeutet "Sensei" also nur "Jemand, der bereits vor mir gelebt hat". Der also bereits mehr Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet hat als ich, und der bereit ist sie weiter zu geben. Der gebräuchlichste Fall wäre zum Beispiel der eines Lehrers in der Schule. AUCH in einer Kampfsportschule. Aber eben nicht NUR dort. Wie im chinesischen Kulturkreis ist es eine Form des Respekts jemand anderen als Sensei anzusprechen. Niemand in Japan oder Okinawa würde sich selbst als Sensei bezeichnen.

Die Bezeichnung "Sensei" wird immer hinter dem eigentlichen Namen angefügt, ähnlich wie die Anreden "San", oder bei höher gestellten Persönlichkeiten "Sama". Bei einer Person mit dem Namen Takada, wäre die Anrede also Takada-San, Takada-Sama oder eben Takada-Sensei. Die im Westen oftmals verwendete Bezeichnung Sensei Robert" würde einem Japaner also bestenfalls ein mitleidiges Lächeln entlocken. Er würde sich auch sicherlich lieber selber die Zunge abbeißen, als sich selbst als Sensei zu bezeichnen. Nur noch sehr wenige Schulen in Japan verlangen heute übrigens noch nach einer Zeremonie wenn man als Schüler aufgenommen werden möchte. Traditionelle Schulen, wie zum Beispiel die Katori Shinto Ryu wünschen allerdings noch einen Bluteid, wenn man sich als Neuling verpflichtet das Training ernsthaft aufzunehmen. Gruselig? Nein. Nur ein anderer Kulturkreis, und sehr traditionell.

Wir sehen also, dass mit der Bezeichnung Sensei in Japan sehr viel lockerer umgegangen wird als in China mit der Bezeichnung Shifu. Gleich ist beiden Kulturen jedoch, dass sich die betreffende Person niemals selbst als Shifu oder Sensei bezeichnen würde, sondern, dass es immer eine ehrenvolle Anrede für einen respektierten Lehrer ist. Die Bezeichnungen werden also nicht, wie bei uns im Westen häufig zu sehen wie ein Doktortitel geführt oder gar verliehen, sondern ausschließlich vom Schüler in direkter Anrede oder im Gespräch verwandt.