
Brasilien wurde ca. anno 1500 von den Portugiesen entdeckt und dann in der damals üblichen Weise von ihnen kolonialisiert. Nachdem man zunächst das Augenmerk auf den Abbau von Edelhölzern und Bodenschätzen gelegt hatte, schwenkte man nach und nach um, auf den Anbau mono-kultureller Güter, welche auch für den Export bestimmt waren. Für diese, nun wichtige Plantagenwirtschaft, versuchte man natürlich auch die einheimischen Indios einzusetzen. Diese widersetzten sich jedoch vehement, anstatt sich den Arbeitsvorstellungen ihrer Kolonialherren anzupassen. Schon Anfang des 15. Jahrhunderts jedoch hatten die Wirtschaftsmächte Europas die afrikanische Bevölkerung als Arbeitspotential für ihre Zwecke entdeckt. Unter der christlichen Flagge wurden von England, Frankreich, Spanien und Holland, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, ca. 75 Millionen Afrikaner verschleppt.
Viele von ihnen starben bereits auf den langen Transportwegen und der Überfahrt, wie es unter anderem auch der Film "Amistad" sehr drastisch wiedergibt. Diese Sklaven setzten sich größtenteils zusammen aus den Bantustämmen des heutigen Kongo, Mozambique und Angola, den Yoruba und den mohammedanischen Males und Haussa. Es fand sowohl eine Vermischung dieser Stämme untereinander statt, als auch eine Vermischung der drei verschiedenen Rassen in Brasilien selbst. Ein Fakt, welcher jedoch immer wieder von der sogenannten weißen Oberschicht verleugnet wurde.
Wie bei fast allen anderen Kampfkünsten auch, lässt sich die genaue Herkunft des Capoeira nicht 100%tig verifizieren. Ob Capoeira ein Importartikel aus Afrika war, oder aber, ob es erst in Brasilien entwickelt wurde, verliert sich im Nebel der Überlieferungen und Erzählungen. Für die Deutung des Namens CAPOEIRA gibt es drei verschiedene Erklärungsansätze:
- Capoeira ist der umgangssprachliche Name eines Vogels mit dem lateinischen Namen Ordontophorus Capueira Spix. Seine Bewegungen sollen Ähnlichkeit haben mit den Schrittfolgen des Capoeira und sein Ruf soll von den Capoeirista nachgeahmt und zur Verständigung untereinander genutzt worden sein.
- Capoeira kann übersetzt werden als "Holz, das geschlagen wurde", womit die Abgeschnittenheit der Sklaven von ihrem Stamm ausgedrückt werden soll.
- In einem Indiodialekt ist "Capu Era" eine Bezeichnung für die durch Brandrodung entstandenen Felder, auf denen die Sklaven Capoeira praktizierten.
Die gern benutzte Erklärung, Capoeira sei die Kampfkunst der Sklaven, welche nach der harten Arbeit als Tarnung vor den Aufsehern versteckt in Tanz und Spiel praktiziert wurde, lässt sich ebenso wenig faktisch belegen, wie der Erklärungsversuch, dass Capoeira ein Ausdruck des Widerstandes gegen die herrschenden Weißen gewesen sei. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich Capoeira im 17. und 18. Jahrhundert in den Sklavenhäusern (Censalas) und später in den Gebieten des Hinterlandes (Quilimbos), wo sich entlaufene Sklaven versteckten, entwickelte.

Entstanden ist diese Kunst wahrscheinlich auf der Basis eines angolanischen, traditionellen Initiationsritus, geboren aus dem Wunsch nach Freiheit, immer mit dem Wissen, dass Gegenwehr der Unterdrückten nur auf der Ebene von Spiel und Täuschung funktioniert.
Die wesentlichen Elemente des Capoeira:
- Die Musik. Der Rhythmus wird angegeben von der Berimbau, einem traditionellen Instrument der Bantu, bestehend aus einem flexiblen Holzstab, einer Saite und einer Kalebasse als Resonanzkörper. Hinzu kommen Trommel (Atabaque), Tamburin (Pandeiro) und anderer Percussionsinstrumente.
Abgerundet durch den Gesang der Capoeiristas wird die Atmosphäre für das "Spiel" hergestellt.
- Der Kreis. Die "Roda de Capoeira". Die Capoeirista und die Musiker stellen sich im Halbkreis oder Kreis auf, und die Kämpfer treten in wechselnder Reihenfolge, nach nonverbaler Kommunikation, in den Kreis, wechseln damit das vorherige Paar ab und setzen das Spiel fort. Das Spiel und die Musik werden durch diesen Wechsel niemals unterbrochen. Der Begriff Spiel wird deshalb benutzt, weil das Miteinander der Capoeirista von Vornherein im Vordergrund steht. Obwohl es sich bei den Bewegungen um Verteidigungs - und Angriffstechniken handelt, ist es kein Kampf.
- Das Capoeiraspiel. "Jogar de Capoeira". Die zwei Spieler kauern neben dem Berimbau. Sie lauschen der Musik und dem Gesang. Der Musikrhythmus überträgt die Spannung. In einem bestimmten Moment verbeugen sie sich vor dem Berimbau, berühren mit der offenen Hand den Boden und treten mit der Ausführung eines langsamen, flachen Rades in den Kreis. Die beiden Spieler stehen sich jetzt nicht mehr als Freunde gegenüber, sondern als ein Rätsel aus nicht vorhersehbaren Gefahren und Geheimnissen. Es entwickelt sich ein Dialog aus ineinander übergehenden Bewegungen: Täuschungen, Angriffe, Verteidigungen...
Alle Bewegungen entstehen aus der "Ginga", dem Grundschritt des Capoeira. Hierauf bauen die folgenden Bewegungen auf: Kicks, Räder, Drehungen usw. Alles erfolgt nahtlos und findet im ursprünglichen Capoeira de Angola, in einem Wechsel von langsam und schnell, nah am Boden statt.
- Täuschungsbewegungen. "Malicia". Im Capoeira de Angola ist Malicia ein fester Bestandteil des Spiels. Der Capoeirista beherrscht ab einem gewissen Stadium seines Könnens die Ausführung der Malicia. Intuitiv weiß er, was sein Gegner plant und kontert mit einer Täuschung. Das ist die Stufe des Capoeira de Angola, ab welcher der Capoeirista immer weniger an körperlichen Energieeinsatz braucht. Um Malicia zu beherrschen benötigt man viel Zeit des Trainings. Es gibt nur wenige alte Angolameister, die mit solch einem Minimum an Kraft und Bewegung bestehen können und die ihr Gegenüber so gut durchschauen, dass sie praktisch unangreifbar sind.
- Der Lebensstil. Dadurch, dass die Kolonialherren das Christentum vermittelten, wurde dieser Glaube ebenso in die afrikanische Vorstellung integriert wie auch Elemente der Indio-Kultur. Hieraus sind zum Beispiel Religionsformen entstanden, Wie das Macumba oder das Candomble, die in erster Linie eine Ausdrucksform der armen, schwarzen Mischlingsbevölkerung Brasiliens sind. Deren Leben war, und ist geprägt, durch die Notwendigkeit kulturelle Formen miteinander zu vermengen, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu vergessen.
So entstand im täglichen Überlebenskampf ein starkes, soziales Zusammengehörigkeitsgefühl.
Daher sind die Augenblicke des Jogar de Capoeira de Angola ein Spiegelbild des Lebensstils der Armen.
Noch einmal zur Historie: Bereits im 18. Jahrhundert gab es starke Capoeiravereinigungen, die alle geheime Treffpunkte, Rituale und unterschiedliche Stile, basierend auf den Interpretationen ihres jeweiligen Meisters hatten.. Man traf sich, spielte und kämpfte untereinander. Hielt aber im Ernstfall auch über die Gruppenzugehörigkeit hinaus zusammen. Obwohl Capoeira von den Sklaven kreiert worden war, verstand es die Obrigkeit, es für ihre Interessen einzusetzen. Ein Vizekönig soll so zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Capoeirista als Leibwächter engagiert haben.

1888, nach der Sklavenbefreiung, wurden die Censalas aufgelöst und die Quilimbos zerstört. Söldner des zu Ende gegangenen Krieges in Paraguay und ehemalige Sklaven hielten Einzug in die Elendsviertel der Stadt. Aber auch durch die Gründung der Republik ergaben sich keine wirklichen Veränderungen auf dem Arbeits-und Wohnungsmarkt. Viele fanden daher keinen Platz in einer sozialen Ordnung und vegetierten am Existenzminimum in den Elendsvierteln (Favelas) dahin. Die Capoeirista wurden hier, aufgrund ihres Selbstvertrauens und ihres kämpferischen Geschicks, ein Synonym für Terror und Kriminalität. Trotz, oder gerade wegen dieses schlechten Images wurde Capoeira von Politikern für deren Zwecke benutzt. So setzte man Capoeirista beispielsweise bei Wahlveranstaltungen ein, um Druck auszuüben.
Nach wie vor blieb Capoeira jedoch eingebunden in den Überlebenskampf der unteren Schichten.
Um das Jahr 1910 wurde Capoeira zusammen mit den Karnevalsumzügen, den Candombles und den Sambagruppen verboten. Man bezeichnete dies als kriminelle Umtriebe, und Teilnehmer wurden unnachsichtig verfolgt. In diesem Zusammenhang wurden viele Capoeirista getötet, wenn sie z. Bsp. ihre religiösen Kultstätten (Terreiros) verteidigten.
Für den Boxer und Capoeirameister Bimba, mit bürgerlichen Namen Manuel dos Reis Machado, ergab sich 1930 die Gelegenheit dem Gouverneur von Bahia sein Capoeira vorzuführen. Dieser erteilte Mestre Bimba daraufhin die Erlaubnis eine Capoeiraschule zu gründen. Bimba nannte sie "Zentrum für regionale Leibesübungen" (Centro de Cultura fisica regional). Damit begann eine neue Ära. Das "Capoeira Regional". Aufbauend auf seinem Stil erdachte Bimba ein neues Curiculum. Er kreierte eine Form bestehend aus 8 Segmenten mit neuartigen Schlägen und Kreisbewegungen (Cintura Desprezada) und ein Segment mit Rädern und Sprüngen, wobei der Ausübende immer auf seinen Füßen landet. Diese neue Form des Capoeira beinhaltet nicht die Kunst des Malicia und auch nicht die langsamen katzenartigen Bewegungen, wie sie im Capoeira de Angola üblich sind.
Das Capoeira Regional ist schneller und artistischer, durch die reglementierten Formen sind intuitives Verstehen und Reagieren jedoch nur noch rudimentär vorzufinden. Mestre Bimbas Schüler kamen überwiegend aus den oberen sozialen Schichten, was durch den offiziellen Charakter dieser Schule noch unterstützt wurde.
Naturgemäß hatten diese Schüler eine völlig andere Lebensauffassung als die traditionellen Capoeirista des Capoeira de Angola. Capoeira Regional versucht durch sein Curriculum aus einer ernsthaften Kampfkunst einen reglementierten Kampfsport zu machen. Darüber hinaus entarten die Rituale und die sozialen Elemente des Capoeira durch den Tourismus und die Medien zu einer Show.
Zu den Zentren des Capoeira Regional zählen Rio de Janeiro, Sao Paulo und Salvador. Viele Angola-Meister erlernten auch den Stil des Regional und versuchten, indem sie beide Formen verbanden, das ursprüngliche Capoeira und somit seine historische und soziale Tradition, in Verbindung mit dem Lebensstil der armen Bevölkerung, aufrecht zu erhalten. In vielen Favelas ist Capoeira jedoch immer noch ein Ausdruck einer Haltung, einer Lebenseinstellung. Einige Capoeirista arbeiten als Sozialarbeiter in den Elendsvierteln und nutzen Capoeira als Medium, um den dortigen Kindern und Jugendlichen Halt und eine Sache zu geben, die ihrem Leben einen Sinn verleiht.
Betrachtet man die Entwicklung des Capoeira ist man geneigt Parallelen zur Entwicklung der asiatischen Kampfkünste zu ziehen. Auch hier geht in vielen Stilen das Ursprünglich zu Gunsten des Sports und der Medienwirksamkeit verloren. Aufgrund dessen, das heutzutage Capoeira immer mehr Interesse, auch bei seinen Kritikern weckt, findet eine Besinnung zur Rückkehr nach den eigentlichen Wurzeln dieser wundervollen Kampfkunst statt.

Die Photos entstanden während eines sozialen Projekts in Brasilien und wurden Jörg Kuschel freundlicherweise von seinem Kollegen Roman Schmitz überlassen.

Jörg Kuschel hat langjährige Erfahrung in chinesischen und japanischen Kampfkünsten. Er unterrichtet in Neuss Kenyu Ryu Karate und Reality Based Personal Protection.
Mehr über ihn erfahrt ihr hier:
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